Die Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch feiern 2024 ihr 15-jähriges Bestehen. Mit sieben hochkarätig besetzten Konzerten und einer Filmvorführung wird der Jahrgang an vier Festivaltagen begangen. Zahlreiche Musikerinnen und Musiker sind zum ersten Mal in der Konzertscheune zu erleben, darunter Matthias Goerne, Martin Helmchen, Marie-Elisabeth Hecker, Nathalia Milstein und Ema Nikolovska. Der Schostakowitsch-Preis geht an Irina Antonowna Schostakowitsch, die persönlich in Gohrisch zugegen sein wird. Neben dem Œuvre Dmitri Schostakowitschs stehen Werke von Modest Mussorgsky und Alexander Raskatov im Mittelpunkt des Programms. Erstmals werden zu allen Konzerten vorab einführende Podcasts angeboten.

Schostakowitsch – Mussorgsky – Raskatov

Dem Schaffen Dmitri Schostakowitschs stehen in diesem Jahr Werke von zwei weiteren russischen Komponisten gegenüber: Modest Mussorgsky war stilistisch und ästhetisch ein wichtiges Vorbild für Schostakowitsch, etliche Werke Mussorgskys – darunter die Opern „Boris Godunow“ und „Chowanschtschina“ sowie den Zyklus „Lieder und Tänze des Todes“ – hat Schostakowitsch in eigenen Bearbeitungen bzw. Orchestrierungen vorgelegt. Alexander Raskatov trägt die Schostakowitsch-Tradition in die Gegenwart: Der 1953 in Moskau geborene Komponist lebt seit vielen Jahren in Frankreich und feierte unlängst mit seiner neuen Oper „Animal Farm“ nach George Orwell an der Dutch National Opera in Amsterdam und an der Wiener Staatsoper große Erfolge. Raskatov sieht dem Besuch in Gohrisch voller Freude entgegen: „Schon lange sind mir die Schostakowitsch-Tage in Gohrisch ein Begriff. Jetzt werde ich diesen geschichtsträchtigen Ort endlich einmal besuchen. Es bedeutet mir sehr viel, dass meine Musik in diesem einzigartigen Kontext erklingen wird.“

Tugan Sokhiev © Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch

Tugan Sokhiev © Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch

Eröffnungskonzert:
Zwei Quartettformationen und die Sopranistin Elena Vassilieva


Mit inzwischen nahezu 40 zyklischen Aufführungen der Streichquartette gilt das Quatuor Danel als das führende Schostakowitsch-Quartett weltweit. Die vier Musiker aus Frankreich sind zum wiederholten Mal in Gohrisch zu Gast und wirken in diesem Jahr an zwei Programmen mit. Im Eröffnungskonzert am 27. Juni musizieren sie Schostakowitschs Streichquartette Nr. 6 und 14 – letzteres ist das einzige der 15 Quartette, das bislang noch nicht in Gohrisch erklungen ist. Der Zyklus wird damit im 15. Jahrgang vervollständigt. Eröffnet wird das Programm mit Schostakowitschs Stücken für Streichoktett op. 11, bei denen das Quatuor Danel um die Musiker des Fritz Busch Quartetts erweitert wird, einer Quartettformation aus den Reihen der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Im Zentrum des Programms steht Alexander Raskatovs berührendes „Gebet (Kaddish)“ für Sopran und Streichquartett, das die Danels 1998 mit der Sopranistin Elena Vassilieva zur Uraufführung brachten und mit ihr nun auch in der Gohrischer Konzertscheune vorstellen.

Marie-Elisabeth Hecker Violoncello und Martin Helmchen Klavier © Harald Hoffmann

Marie-Elisabeth Hecker Violoncello und Martin Helmchen Klavier © Harald Hoffmann

Vier prominente Debüts und eine Uraufführung von Schostakowitsch

Der zweite Festivaltag startet am 28. Juni um 15 Uhr mit einem Rezital, bei dem sich die Cellistin Marie-Elisabeth Hecker und der Pianist Martin Helmchen erstmals dem Gohrischer Publikum präsentieren. Auf dem Programm stehen die Sonaten für Violoncello und Klavier von Dmitri Schostakowitsch und Sergej Prokofjew, außerdem die „Bilder einer Ausstellung“ in der Originalfassung für Klavier und damit das berühmteste Werk aus der Feder Modest Mussorgskys. Auch für den Bariton Matthias Goerne und seinen Klavierbegleiter Alexander Schmalcz ist der Auftritt in Gohrisch eine Premiere. Beide gestalten am 28. Juni erstmals einen Liederabend im Rahmen des Festivals. Auf dem Programm stehen Klavierlieder von Gustav Mahler, die späte Suite nach Gedichten von Michelangelo Buonarroti op. 145, die Schostakowitsch seiner Frau Irina Antonowna widmete, und eine nachgelassene Romanze Schostakowitschs für Bass und Klavier auf ein Gedicht von Jewgeni Jewtuschenko. Diese entstand um 1971, ist nur als Fragment überliefert und wird derzeit von Alexander Raskatov vervollständigt. Matthias Goerne und Alexander Schmalcz bringen dieses Spätwerk in Gohrisch posthum zur Uraufführung.

Gidon Kremer © Angie Kremer

Gidon Kremer © Angie Kremer

Kammerabend mit Gidon Kremer und
Aufführungsmatinee der Sächsischen Staatskapelle
Gidon Kremer ist den Schostakowitsch-Tagen seit vielen Jahren verbunden. Bei seinem vierten Auftritt im Rahmen des Festivals wird er am 29. Juni begleitet von Mitgliedern seines Kammerorchesters Kremerata Baltica. Mit ihnen weitet er den Blick auf Komponistinnen und Komponisten aus Osteuropa, darunter Erkki-Sven Tüür, Grażyna Bacewicz, Tālivaldis Ķeniņš und Alfred Schnittke. Außerdem stehen Werke des Ukrainers Valentin Silvestrov, der 2022 in Gohrisch den Schostakowitsch-Preis in Empfang nahm, sowie von Alexander Raskatov auf dem Programm. In einer Aufführungsmatinee am 30. Juni stellt die Sächsische Staatskapelle Dresden, seit 15 Jahren engster Partner der Schostakowitsch-Tage, unter Dmitri Jurowski gleich vier Erstaufführungen vor: Alexander Raskatovs „Bel canto“ für Viola, Streichorchester und Tempelgong (Anya Dambeck, Viola) ist eine europäische Erstaufführung; Schostakowitschs Concertino op. 94 in der Bearbeitung für Klavier und Kammerorchester von Julia Zilberquit wird mit dieser am Klavier erstmals in Deutschland aufgeführt; und bei Dmitri Jurowskis eigenen Bearbeitungen bzw. Einrichtungen von Modest Mussorgskys „Liedern und Tänzen des Todes“ (Alexandros Stavrakakis, Bass) sowie Schostakowitschs früher Theatermusik zu Majakowskis „Die Wanze“ op. 19 handelt es sich um Uraufführungen.

Abschlusskonzert: Weitere Debüts und der Komponist am Klavier

Auch das Abschlusskonzert am 30. Juni nachmittags wird maßgeblich von Musikern der Sächsischen Staatskapelle gestaltet. So musiziert Norbert Anger, Konzertmeister der Violoncelli des Orchesters, gemeinsam mit Alexander Raskatov am Klavier dessen Duo „Dolce far niente“ aus dem Jahr 1991. Die Pianistin Nathalia Milstein präsentiert eine Auswahl aus Mussorgskys selten gespieltem Klavierwerk und führt mit der Mezzosopranistin Ema Nikolovska Schostakowitschs „Satiren“ op. 109 auf – ein Liederzyklus, der unmittelbar vor Schostakowitschs erstem Besuch in Gohrisch 1960 entstand. Beide Künstlerinnen gehören zu den aufstrebenden Klassikstars, sind zum ersten Mal in Gohrisch und musizieren zum Abschluss des Festivals gemeinsam mit Norbert Anger und Robert Lis, dem 1. Konzertmeister der Staatskapelle, Schostakowitschs hintergründige „Romanzen-Suite“ nach Worten von Alexander Blok op. 127.
27. bis 30. Juni 2024
www.schostakowitsch-tage.de

Ema Nikolovska © Kaupo Kikkas

Ema Nikolovska © Kaupo Kikkas

Schostakowitsch-Preis für Irina Antonowna Schostakowitsch
Der 15. Internationale Schostakowitsch Preis Gohrisch wird an Irina Antonowna Schostakowitsch verliehen, die das Festival seit Anbeginn unterstützt und sich unermüdlich für das Erbe ihres Mannes Dmitri Schostakowitsch einsetzt. Sie wird bereits zum vierten Mal nach Gohrisch reisen – 1972 begleitete sie ihren Mann in die Sächsische Schweiz, 2010 und 2018 war sie Ehrengast der Schostakowitsch-Tage. Die Preisverleihung am Nachmittag des 29. Juni wird umrahmt von zwei Werken, die Irina Antonowna gewidmet sind: dem Streichquartett Nr. 9 von Schostakowitsch (Quatuor Danel) und dem Liederzyklus „Black Sun“ von Alexander Raskatov (Elena Vassilieva, Nathalia Milstein), der bei dieser Gelegenheit zur Uraufführung gelangt. Außerdem erklingt mit Pjotr I. Tschaikowskys Streichsextett „Souvenir de Florence“ eines von Irina Antonownas Lieblingswerken, gespielt vom Quatuor Danel und Musikerinnen der Sächsischen Staatskapelle (Anya Dambeck, Dawoon Kim).

Filmvorführung und Schostakowitsch-Podcasts
Ergänzt wird die Würdigung Irina Antonowna Schostakowitschs durch die Vorführung des russischen Dokumentarfilms „TWO. The Story of Shostakovich’s Wife“ aus dem Jahr 2022. Der Film reflektiert die Geschichte Irina Antonownas an der Seite ihres Mannes und wird in Gohrisch in Anwesenheit der Regisseurin Elena Yakovich erstmals in Europa gezeigt. Zum ersten Mal bieten die Schostakowitsch-Tage auch einführende Podcasts zu allen Konzerten an, die vor und während des Festivals kostenfrei auf der Festival-Website verfügbar sein werden. Dieses Angebot ist eine Kooperation mit dem Studiengang Musikjournalismus der TU Dortmund, der zudem die Live-Konzerteinführungen im Saal der Gemeindeverwaltung Gohrisch gestaltet.

Sonderkonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden
Die Schostakowitsch-Tage werden wieder mit einem Sonderkonzert der Sächsischen Staatskapelle im Dresdner Kulturpalast eingeläutet. Am 26. Juni leitet Tugan Sokhiev dort Dmitri Schostakowitschs Symphonie Nr. 7 C-Dur op. 60 („Leningrader“) – und damit jenes Werk, mit dem der russische Dirigent 2022, als er nach Ausbruch des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine seine Chefpositionen in Moskau (Bolschoi-Theater) und Toulouse (Orchestre National du Capitole de Toulouse) gleichzeitig niederlegte, mit der Staatskapelle bei den Osterfestspielen Salzburg debütierte.

Dmitri Schostakowitsch © Internationale Schostakowitsch Tage Gohrisch

Dmitri Schostakowitsch © Internationale Schostakowitsch Tage Gohrisch

Schostakowitsch in Gohrisch
Der russische Komponist Dmitri Schostakowitsch weilte zwei Mal – in den Jahren 1960 und 1972 – im Kurort Gohrisch in der Sächsischen Schweiz. Bei seinem ersten Aufenthalt komponierte er hier sein achtes Streichquartett c-Moll op. 110. Es gilt heute als eines seiner bedeutendsten Werke und ist nachweislich das einzige Werk, das Schostakowitsch außerhalb der Sowjetunion komponierte.
Bereits nach seinem ersten Besuch in Gohrisch hatte er am 19. Juli 1960 an seinen Freund Isaak Glikman geschrieben: „Ich bin von meiner Reise nach Dresden zurückgekehrt. Ich habe mir das Material zu dem Film ‘5 Tage, 5 Nächte’ angesehen, den L. Arnstam dreht. Ich muss sagen, dass mir vieles sehr gefallen hat. Da offenbart sich die sehr gütige Seele Ljoljas. Und darin liegt die Hauptbedeutung dieses Films. Man hatte es mir dort sehr gut eingerichtet, zwecks Schaffung einer schöpferischen Arbeitsatmosphäre. Gewohnt habe ich in Gohrisch, auch Kurort Gohrisch, nahe dem Städtchen Königstein, 40 Kilometer von Dresden entfernt. Die Gegend ist unerhört schön. Übrigens gehört sich das für sie auch so: Die Gegend nennt sich ‚Sächsische Schweiz‘. Die schöpferischen Arbeitsbedingungen haben sich gelohnt: Ich habe dort mein 8. Streichquartett komponiert.“